Der Inn ist über viele Jahrhunderte stark beeinflusst und verändert worden, sei es als Transportweg, zur Holzdrift oder als Vorfluter für die Abwässer. Wesentlichen Einfluss auf die Gewässerstruktur nahm dabei die historische Innschifffahrt. Sie wurde als Treidelschifffahrt betrieben, bei der die Schiffe auf Wasserwegen durch Menschen oder Tiere gezogen wurden. Dafür wurde schon früh ein Ufer festgelegt, so dass Tiefen-Erosion einsetzte und sich früh ein Flussschlauch ausprägte. Auch die Brücken und der Bahn- und Straßenausbau ab der Mitte des 19.Jahrhunderts legte die Ufer bewusst fest. Dieses förderte Erosionsprozesse, die zuerst bedingt durch die latenten Hochwassergefahren sogar willkommen waren.
Die ursprünglichen Siedlungsgebiete befanden sich auf hochgelegenen Punkten entlang des Inn, oder bewusst in Flussnähe wie z.B. Innsbruck, Wasserburg, Schärding und Passau, um auf Verteidigungsanlagen verzichten zu können und am Transportweg zu siedeln. Die Landgewinnung für die Landwirtschaft als auch die Grenzziehung forderte klare Verhältnisse, die mit der Begradigung und Versteinung der Ufer erreicht wurde. Die wesentlichen Veränderungen der Begradigung mit Hochwasserschutzmaßnahmen, die mit einem kontinuierlichen Verfall der Wasserspiegel- und Grundwasserspiegellagen einhergingen, waren so schon vor dem Staustufenbau gegeben. Die Begradigung führte zur funktionalen Trennung der Auen und ihren Nebengerinnen zum kanalisierten Fluss.
Energiegewinnung aus Wasserkraft
Die Energiegewinnung aus Wasserkraft stellt heute im Alpenraum die wichtigste erneuerbare Energiequelle dar. Denn auf der Suche nach Energieformen ohne klimaschädliche Emissionen und sicherheitstechnische Risiken, erfährt die CO2-neutrale Stromerzeugung aus Wasserkraft immer mehr politische und gesellschaftliche Akzeptanz. Doch jede Art der Wasserkraft ist mit Eingriffen in das natürliche Flussökosystem verbunden, was mit Risiken für die Funktionsfähigkeit einhergeht. Und das betrifft nicht nur die großen Flusssysteme, sondern auch Eingriffe an ihren Zubringern und Nebengewässern, von denen heute nur noch wenige unverbaut sind.
Mit dem einsetzenden Wertewandel, der sich auch in der Gesetzgebung auf EU und nationaler Ebene, abbildet wurden Rahmenbedingungen geschaffen die den Wert der Ressource Wasser und die Funktion, die die Gewässer im Raum abbilden, wiederspiegeln. Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), Fauna-Flora-Habiat- Richtlinie (FFH) mit Vogelschutzrichtlinie bilden die Eckpfeiler der EU – Wasser- und Biodiversitätspolitik und daraus folgend die Abbildung in der nationalen Gesetzgebung zur Ausweisung von Natura 2000 Gebieten und der Umsetzung mit Zielen und Zielerreichung. Gemäß Wasserrahmenrichtlinie sind die Gewässer in einen guten ökologischen Zustand bzw. Potential zu erhalten, oder der gute Zustand muss wiederhergestellt werden. Es ist dazu eine stufenweise Zielerreichung vorgesehen. Die wirtschaftliche Nutzung der Gewässer ist nicht ausgeschlossen, doch müssen Maßnahmen umgesetzt werden, um die gewässerökologischen Ziele zu erreichen. Bei Bestandsanlagen wird daher versucht die „best environmental option“ zu identifizieren und umzusetzen.
Wasserkraft verändert Flussökosysteme
Die Wehranlagen von Lauf- und Ausleitungskraftwerken erzeugen einen Aufstau, der die Lebensbedingungen für Flora und Fauna im Flusslauf selbst, aber auch in den angrenzenden Lebensräumen verändert. Die daraus resultierende Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit bedingt eine Verringerung der Schleppkraft des Flusses. Sand und Kiesel, die von den Flusswellen mitgespült werden, bleiben damit vor der Staumauer liegen, die die Lücken zwischen den Kieselsteinen verstopfen. Diese Lücken sind aber gerade in Alpenfließgewässern wichtige Lebensräume, weil zahlreiche Tiere, wie Insekten und Fische, genau dort ihre Eier ablegen. Darüber hinaus führt die Verringerung der Fließgeschwindigkeit zu einem Anstieg der Wassertemperatur, wodurch der Sauerstoffgehalt im Wasser abnimmt. Auch das Querbauwerk selbst stellt für Wanderfische und winzige tierische Organismen eine unüberwindbare Hürde dar. Aufgrund des Geschieberückhalts im Staubereich wird kein Sohlmaterial mehr flussabwärts transportiert. Dieses fehlt dann unterhalb der Staumauer, um der natürlichen Erosion des Wassers entgegenzuwirken. Dadurch kann zu einer Sohleintiefung kommen. Wenn sich der Fluss eintieft, sinkt auch der Grundwasserspiegel in den Auen. Damit werden die Tümpel und Feuchtlebensräume beeinträchtigt oder trocknen sogar komplett aus Während naturnahe Flussauen oftmals ein Mosaik aus Auwäldern, Tümpeln, Kies- und Sandinseln sowie Flach- und Steilufern mit einer entsprechenden Artenvielfalt hervorbringen, sind derartige Lebensräume am Inn heute rar.
Fische leben nicht nur im Inn und den Seitengewässern sondern nutzen ihn auch als Wanderachse, um zwischen Laichplätzen, Nahrungsrevieren und Winterhabitaten zu wechseln. Die Durchgängigkeit dient auch dem Genaustausch aber auch eine Wiederbesiedlung z.B. nach extremen Abflussereignissen zu ermöglichen. Ist der Fluss- oder Bachlauf durch unüberwindbare Verbauungen unterbrochen, ist das Wandern zwischen den verschiedenen Habitaten nicht mehr möglich. In den Oberläufen des Inn und den Seitengewässern stellen aber auch die Schluchten, mit den starken Gefällen und Strömungen mit natürlichen Kaskaden natürliche Wanderhindernisse dar.
Neue Wege für die Wanderachsen
Mit einem umfangreichen Programm zur Herstellung der Durchgängigkeit und Verbesserung der Habitat-Bedingungen für die Innfische wird der Flussverlauf wieder durchgängig gestaltet aber auch Verbauungen rückgenommen und Veränderungen werden wieder zugelassen. Der Aufstau wie z.B. mit Wasserkraftwerke wirkt sicher nachteilig auf die Lebensbedingungen manch ursprünglicher Arten, jedoch bieten diese Stauräume heute auch Funktionen ab, die in den begradigten eingetieften Abschnitten völlig fehlen. Zudem wurden viele Seitengewässern durch Straßenbau, Hochwasserschutz und Wildbachverbau in unüberwindbare Strecken mit Kaskaden verwandelt.
Künstliche Wasserstandsschwankungen
Als Schwall-Sunk werden von Menschen verursachte Abflussschwankungen in freien Fließstrecken von Flüssen bezeichnet. Schwall-Sunk gilt als einer der Faktoren die einer Erreichung der ökologischen Ziele in Gewässern entgegenstehen. Spezielle Anlagenkonzepte wie Pumpspeicherkraftwerke stellen heute die effizienteste Möglichkeit dar Strom zu speichern. Als „grüne Batterie“ kann ein Pumpspeicherkraftwerk zwischen einem Ober- und einem Unterbecken Wasser hinaufpumpen bzw. dann, wenn Strom erzeugt werden soll, wieder durch die Turbinen geleitet werden. So ein flexibler Einsatz der Kraftwerke kann aber auch zu kurzfristigen Abfluss-Schwankungen in den Gewässern führen, dem so genannten Schwall-Sunk. Dieser stellt eine Beeinflussung der natürlichen Abflussdynamik eines Gewässers dar. Der „Schwall“ ähnelt einer plötzlichen Flutwelle, die viel schneller kommt als ein natürliches Hochwasser. Damit werden auch Lebewesen, die an eine natürliche Hochwasserdynamik angepasst sind, negativ beeinträchtigt. In den Sunkphasen hingegen wird Wasser im Staubereich gesammelt oder nur noch vermindert abgegeben, was flussabwärts zu einem künstlichen Niedrigwasser führt. Diese Schwall-Sunk-Belastung kann mehrmals am Tag abwechselnd zu einem künstlich erhöhten Abfluss (Schwall) und einem darauffolgenden Rückgang des Abflusses (Sunk) führen und stellt damit einen starken Eingriff in die natürliche Abflussdynamik eines Gewässers dar. Die durch Ausleitung von Wasser aus einem Fluss entstandene Strecke wird als Ausleitungs- oder Restwasserstrecke bezeichnet. In ihr kommt es durch die verringerte Wasserführung auch zu einer verringerten Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit. Das hat veränderte Temperaturen und Sauerstoffgehalte im Wasser zur Folge. Teilweise kommt es dadurch sogar zur Austrocknung von Gewässerbetten, wodurch beispielsweise Fische weniger Möglichkeiten zum Ablaichen finden.
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie legt fest, dass es bis 2027 keine Schwall/Sunk-Belastung an unseren Flüssen mehr geben darf. Da die Problematik sehr komplex ist, wurden seit 2010 zahlreiche Forschungsprojekte durchgeführt, wie z.B. das Projekt SuREmMa des Österreichischen Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, in dem grundsätzliche Maßnahmentypen zur Verminderung der Auswirkungen von Schwall-Sunk bei Speicherkraftwerken identifiziert wurden.
Bewässerung und Kühlung durch den Inn
Das Schweizer Engadin war schon immer ein inneralpines Trockental. Eine umfangreiche Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass mit dem Klimawandel die Trockenheit noch zunehmen wird – schon im Jahr 2035 werden die Sommer-Wasserabflüsse im Tal um fast ein Drittel gesunken sein. Damit steigt proportional der Wasserbedarf für Siedlungen und Bewässerungen für die Landwirtschaft. Für die anderen Länder am Inn sind noch keine so detaillierten Studien veröffentlicht, tendenziell wird aber die Trockenheit am gesamten Innverlauf zunehmen – selbst am mittleren Inn, wo dies bisher noch nie ein Thema war. Damit wird nicht nur der Hauptfluss weniger Wasser führen, auch die Zubringerbäche, die derzeit intensiv für landwirtschaftliche Bewässerung genutzt werden, werden diesen Bedarf nicht mehr im bisherigen Maß decken können. Dadurch wächst auch das Interesse, Wasser direkt aus dem Inn in die Felder abzuleiten, und schafft damit einen zusätzlichen Nutzungsdruck.
Bislang entnehmen nur vereinzelt Großbetriebe Kühlwasser aus dem Inn – wie etwa die Universitätsklinik in Innsbruck oder das Novartis-Werk bei Kundl. Mit zunehmender Klimaveränderung könnte diese Kühltechnik aber auch für Gemeinden oder Gewerbegebiete interessant sein, weil diese verhältnismäßig wenig Energiezufuhr benötigt. Aus Naturschutzsicht ist diese Praxis aber nicht unbedenklich, weil das wieder eingeleitete Wasser eine deutlich höhere Temperatur aufweist. Ist die Wassertemperatur durch Klimaeinfluss bereits erhöht, können Grenzwerte der Temperaturtoleranz überschritten werden. Das bedeutet, dass manche Fisch-, Amphibien- oder Insektenarten in diesem Wasser kaum mehr leben können, und vor allem keine Jungtiere mehr aus den abgelegten Eiern schlüpfen.
Ausgleichsmaßnahmen senken ökologische Beeinträchtigungen
Trotzdem wird die CO2-neutrale Energiegewinnung aus regenerativen Quellen angesichts der voranschreitenden Erderwärmung in manchen Regionen auch in Zukunft nahezu kompromisslos bleiben. Allerdings erfordert die Genehmigung neuer Wasserkraftprojekte gemäß der Wasserrahmenrichtlinie umfassende Umweltverträglichkeitsprüfungen, um sicherzustellen, dass sich der Gewässerzustand dadurch nicht verschlechtert. Darüber hinaus wurden auch für bestehende Anlagen innerhalb der Wasserrahmenrichtlinie ökologische Ziele definiert, die mit verschiedenen Ausgleichsmaßnahmen erreicht werden können, um den ökologischen Einfluss bestehender Kraftwerke zu mildern.
Dazu zählen in erster Linie Maßnahmen zur Verbesserung der Durchgängigkeit und Vernetzung durch die Schaffung von Umgehungsgewässern. Ein Beispiel dafür ist das Umgehungsgerinne am Kraftwerk Ering-Frauenstein, das nicht nur eine Passierbarkeit der Fische ermöglicht, sondern auch die Wiederherstellung einer möglichst ursprünglichen Flusslandschaft in dem Seitengewässer begünstigt. Durch die Förderung typischer Ufer- und Auenlandschaften sollen sich so einerseits die Lebensbedingungen für die heimische Flora und Fauna verbessern, auf der anderen Seite trägt die neu geschaffene Strukturvielfalt heute auch dazu bei, dass sich typische Arten des wilden Inn hier wieder neu ansiedeln. Darüber hinaus gehören auch Uferrückbau und die Errichtung von Fischaufstiegshilfen zu den Maßnahmen, die die Auswirkungen der Wasserkraft mildern und die Lebensbedingungen der Arten am Inn wieder verbessern.
Und während sich der Aufstau durch Wasserkraftwerke zwar nachteilig auf die Lebensbedingungen manch ursprünglicher Arten auswirkt, bieten diese Stauräume auf der anderen Seite heute Funktionen an, die in den begradigten, eingetieften Abschnitten des Alpenflusses mittlerweile völlig fehlen. Darüber hinaus haben sich insbesondere am Unteren Inn an den zahlreichen Stauseen neue Lebensräume entwickelt, in denen sich eine Artenvielfalt etabliert hat, die ohne Wasserkraft hier vermutlich nicht möglich gewesen wäre.